DAS GANZE IST VIEL MEHR ALS DIE SUMMER SEINER TEILE

Dr. Bianca Kos, Historikerin und Kunsthistorikerin

Die Bilder von Marlies Wagner bedürfen eigentlich keiner langen Erklärungen. Auch ohne theoretisches Hintergrundwissen verkörpern und vermitteln sie in jedem Fall die reinste Schaulust. Sie sind völlig unverkrampft‚ aus purer Emotion und Einfühlung gemalt und vermitteln pure Emotion. Dennoch ist der Entstehungsprozess ihrer Bilderwelten ein ebenso interessantes Phänomen wie das Ergebnis selbst.

Am Anfang ist eine leere Leinwand. Nach künstlerischem Gutdünken wählt die Künstlerin einen realen oder in der Fantasie befindlichen Gegenstand aus und malt ihn auf die weiße Flächen. Nun ist die Situation aber bereits eine ganz andere als zu dem Zeitpunkt, als die Leinwand noch vollkommen unbemalt war. Der nächste Schritt muss neu konzipiert und geplant werden. Dieser Vorgang wiederholt sich immer wieder von Neuem. Immer wieder muss der Prozess realisiert werden. Entgegen unseren gewohnten Sehweisen, die meist nur zusammenfassend erfahren, gestaltet und verknüpft Marlies Wagner additiv Dinge, die eigentlich gar nicht zusammengehören und kreiert dadurch eine Art komplexer Traumwelt, die dem Betrachter irgendwie bekannt, aber auch sehr exotisch und ungewohnt erscheint. Es ist wie ein Puzzle, bei dem nichts fehlen, aber auch kein Stück zu viel sein darf. Soweit die künstlerische Theorie des „prozessualen Realismus”, aus dessen Schule Marlies Wagner kommt.

Ihre künstlerische Karriere begann genau genommen schon in der Volksschule in einem Kärntner Bergdorf. Im Kräuterdorf Irschen, in dem sie 1960 geboren wurde und aufwuchs, zeichnete und malte sie für ihre Mitschülerinnen die Aufgaben für den Zeichen- und Handwerksunterricht. Es ist das Gestalten von Schönheiten, das sie immer schon faszinierend und inspirierend empfunden hat. Und der Geschmack und die Atmosphäre. „Deshalb male ich vor allem Frauen”, erklärt die Künstlerin ihre Vorliebe zu Motiven und Impressionen, zu denen sie vor allem auf ihren Reisen durch den ebenso zauberhaften wie wunderlichen indischen Kontinent angeregt wird. Ihre Bilder Verströmen die exotischen Aromen von Gewürzen, P?anzen und Tieren und fast möchte man ihre Malerei eine olfaktorische — geruchsinnlich erfahrbare — Kunst nennen. Marlies Wagner braucht hierfür keine künstlerischen Vorbilder mehr, die eigenen Wahrnehmungen und Empfindungen genügen ihr für den Schaffungsprozess vollauf. Nach einem Lern- und Entwicklungsprozess ist ihre Kunst sozusagen autonom geworden, unabhängig von Strömungen und Modeerscheinungen der Kunstwelt. „Ich brauche Platz. Meine Leinwände werden immer größer”, sagt sie, eine Folge ihrer immer intensiver und üppiger sprudelnden Fantasiequellen. Die Bildträger wählt sie selbst aus, ersteht sie bei indischen Tuchhändlern, die gewiss keine Fabriksware anbieten. Darauf nehmen ihre eleganten, oft etwas melancholischen Frauengestalten den Raum ein und halten mit den Tieren und burlesken Fabelwesen, die zuweilen mit Stöckelschuhen und Sommerkleidchen versehen sind, Zwiesprache. Ob sie Märchenwesen malt oder reale Modelle, ob ihnen einen Körperteil fehlt oder zwei zu viel sind, die Kuh eine Brille trägt oder das junge Mädchen mit den grellgrünen Haaren den Fuß eines Zebras besitzt: alles ist voller Er?ndungsgabe und Ästhetik.

Marlies Wagners Fantasie ist gleichsam schwerelos; sie schert sich weder um anatomische Vorgaben noch um perspektivische Regeln. Der Schuh schwebt im Raum, das Huhn sitzt im Schoß, der Schnabel ist kariert und die Turmfrisur wächst ins Unendliche. Ein lyrisches Durcheinander, ein poetisches Fließen, eine Wunderwelt, die staunen macht. Und alles bleibt ein bisschen rätselhaft.

PETER JARUSZEWSKI

Pinter Guss GmbH

Marlies Wagners wunderschöne Acrylbilder habe ich zum ersten Mal zusammen mit meiner Frau auf dem Weihnachtsmarkt in Velden am Wörthersee gesehen. Die Künstlerin stellte dort einen Teil ihrer Bilder im Seecorso von Mirjam Reiner aus. Als wir uns kennenlernten,war sogleich der Funke übergesprungen, wie man manchmal so schön sagt. Die Bilder gefielen uns auf den ersten Blick, ohne zunächst sagen zu können, warum dies so war. Wir kauften drei kleine Bilder, die wir als Erinnerung mit nach Hause nehmen wollten und eilten dann unseren Freunden hinterher, die am Schloss mit einem Glühwein auf uns warteten. Die Bilder hatten sich aber fest in mein Gedächtnis eingeprägt. Ich bekam sie nicht mehr aus dem Kopf.

Zu Hause in Deggendorf hatten wir in unserem Unternehmen ein neues Büro gebaut, das im Januar eingeweiht worden war und viele weiße Wände aufzuweisen hatte. Unsere Mitarbeiter und auch der Architekt meinten, dort müsste unbedingt etwas Farbiges hängen. »Wir streichen die Wände mit grellen Farben an«, war nur einer der Vorschläge, denen dann umgehend weitere folgten, denn weiße Wände wollte niemand haben. Ja, und dann fiel mir mitten in dieser Phase des allgemeinen Nachdenkens, wie man weiße Wände ansehnlicher gestalten könnte, die Künstlerin Marlies Wagner ein, die wir am Wörthersee kennengelernt hatten. Ich rief Mirjam Reiner an, die den Kontakt zu Marlies Wagner herstellte und dann ging es eigentlich recht zügig weiter.

Zurzeit stellt Marlies Wagner zum großen Gefallen unserer Mitarbeiter, unserer Kunden, den Lieferanten und der Geschäftsführung eine große Auswahl ihrer Gemälde als Leihgabe in unserem Unternehmen, der Firma Pinter Guss GmbH, in Deggendorf/Bayern aus.

Die frischen Farben in ihren abstrakten Bildern sind wunderbar und beim Betrachten stellt sich sofort dieser faszinierende Überraschungseffekt ein, wenn einem etwas besonders Schönes direkt ins Auge springt. Konkretes lässt sich nur erahnen und immer wieder wird man aufgefordert, auf der Gemäldefläche sich auf die Suche nach noch nicht bewusst Erfasstem zu begeben. Man entdeckt immer wieder neue Dinge, die Marlies Wagner mit großer Dynamik in ihrem kreativen Arbeitsprozess in das Gesamtbild eingewoben hat. Ihre Fantasie scheint schier unerschöpflich zu sein. Man glaubt ihrer Aussage, dass sie ein glücklicher Mensch sei sofort, weil es ihr gelungen ist, in ihren Bildern dieses Gefühl des Glücks und der Freude als absolut positives Lebensgefühl zu vermitteln.

Die Gemälde tragen unterschiedliche Namen wie z.B. Hong Kong, I have a dream, Wortlos, Hühnerfrau, Die Regenmacherin oder Remember High Heels und jedes Gemälde erzählt eine eigene Geschichte, die sicherlich auch immer von der Fantasie oder der jeweiligen Stimmung des Betrachters abhängt.

Ich gehe jeden Tag mit Freude an der Galerie vorbei, schlendere durch die Büros unserer Mitarbeiter und betrachte die Gemälde aufs Neue. Immerhin sind es insgesamt 32 großformatige Gemälde und 15 Frauenportraits im Format 40×40cm, wobei wir die Portraits auf einer weiß lackierten Holzplatte zusammengefasst haben und zusammen als Eyecatcher im Empfangsbereich aufgehängt haben. Frauenpower pur. Ausdruckstarke, schöne Gesichter.

Unser gesamtes Pinter Team ist selbst nach vielen Wochen immer noch begeistert von den Gemälden und entdeckt immer wieder andere Einzelheiten, die dann miteinander diskutiert werden. Das ist wunderbar. Man spricht im Alltag des Berufslebens über die Kunst. Wir haben etwas wirklich Außergewöhnliches in Windeseile erreicht. Ein herzliches Dankeschön, liebe Marlies‚ liebe Mirjam.

DIE UNFASSBARE LEICHTIGKEIT DER FANTASIE

Dr. Bianca Kos, Historikerin und Kunsthistorikerin

Manchmal rätseln selbst die Experten: Warum ist man plötzlich so fasziniert, so begeistert und so erfreut, wenn man ein bestimmtes Bild betrachtet? Was macht ein Kunstwerk aus? Sind es die Farben oder sind es die Linien, ist es das Dargestellte oder die ldee, oder ist es die optimale Verbindung aller dieser Komponenten? Im Grunde genommen wird die Kunst immer ein Geheimnis bleiben, wie sehr man sich damit auch beschäftigt. Die Bilder von Marlies Wagner brauchen aber ohnehin keine rationale Erklärung. Sie verkörpern die reinste Schaulust. Sie sind völlig unverkrampft, aus purer Freude gemalt und sie vermitteln pure Freude – im Grunde das höchste Ziel jeder Kunst. Vielleicht wird man beim Betrachten ihrer Bilder an irgendetwas erinnert. Vielleicht hat man Assoziationen mit guten Düften, mit geheimnisvoller Exotik (mit Wärme und mit Glück. Jedenfalls sind es uneingeschränkt angenehme Empfindungen, die ihre Bilderwelt vermittelt.

Es sind fast immer Frauen, die Marlies Wagner darstellt; stets elegante, bewegte, aber doch beherrschte weibliche Figuren, die niemals lauthals fröhlich sind, sondern eine vornehme Ausgelassenheit oder eine liebenswürdige und zurückhaltende Melancholie zeigen. Marlies Wagner schöpft beim Malen wohl aus einem schier unendlichen Fundus. Die Requisiten entnimmt sie ihrer Lebenswelt, aber auch den Eindrücken, die sie auf Reisen sammelt. Zusammen mit ihrer Fantasie verschmelzen sie zu jenen Bildern, die real zu sein scheinen, andererseits aber so unendlich zauberhaft und unerklärbar sind. Egal, ob sie Märchenwesen malt oder reale Modelle, egal, ob ihnen ein Körperteil fehlt oder zwei zu viel sind, die Kuh eine Brille trägt oder das junge Mädchen den Fuß eines Zebras und grellgrüne Haare hat; alles ist ästhetisch und fantasievoll. Und die Fantasie der Künstlerin ist gleichsam schwerelos; sie schert sich nicht um anatomische Vorgaben und Zusammenstellungen, um konventionelle Farbgebung oder physiologisch korrekte Bewegungsabläufe. Der Schuh schwebt im Raum, das Huhn sitzt im Schoß, der Schnabel ist kariert und die Turmfrisur baut sich bis ins Unendliche. Eine Wunderwelt, die staunen macht. Und alles bleibt ein bisschen rätselhaft, aber die Botschaft ist klar: wirkliche Kunst ist unfassbar.

LUKA ANTICEVIC

Institut für Kunst & Philosophie

Wagner versteht es in ihren abstrakten Bildern den Hintergrund so zu gestalten, dass er sich in die Gesamtkomposition nicht nur integriert, sondern bemüht ist sein Versprechen einzulösen, neue Räume zu erschließen, ja den Raum im buchstäblichen Sinn überhaupt erst entstehen lässt. Gegenüber dem verzweifelten Bemühen, Dreidimensionalität zu simulieren und dadurch trotzdem keine Tiefe erfahren zu lassen, entstehen die Bilder Marlies Wagners aus der dynamischen Räumlichkeit der Farbe.
Die Bildelemente werden nicht nur als Wahrnehmungsreiz dargeboten, sondern lassen den Betrachter die Bildfläche erfühlen, regen das Auge immer neu dazu an, das Bild abzutasten und dem Gestaltungsakt, dem Werden des Bildes nachzuspüren.

In dieser interaktiven Weise, in der das Auge das Bild erfährt, kann auch der Malprozess der Künstlerin verstanden werden. Ihre Bilder sind keine Umsetzungen oder Projektionen schon zuvor definierter Ideen; vielmehr handelt es sich um den Versuch einer wirklich prozessualen Malerei, die aus der Farbe die Form entwickelt, aus den Farbschichten und –bahnen Zug um Zug ein Bild ausbaut, bis es zu einer überzeugenden und kraftvollen Bildordnung kommt. Dieser Vorgang erschafft eine Räumlichkeit, die sich nicht nur auf die äußere Wirklichkeit des Bildes bezieht, seinen erfahrbaren physikalischen Raum, sondern auch auf den dem Bild eigenen Ereignisraum.

Dies geschieht in einem sinnlichen Aneignungsverfahren, ganz autonom aus dem Bild heraus. Der Arbeitsprozess ist in hohem Maße in sich reflektiert, weil er immer wieder auf sich selbst Bezug nehmen muss.
Marlies Wagners Bilder sind das Ergebnis eines über mehr oder weniger langen Dialogs zwischen der auf die Leinwand aufgetragenen Materialität und der Imagination, die die entstandenen Räume und Gestalten aufgreift und weiter treibt.

So sind ihre Bilder Seinszustände eines nicht abgrenzbaren Raumes, der ein Davor und Danach impliziert und eine endgültige, letzte Wahrheit verweigert.